Still wurde es in der sonst so lauten Aula, als der alte Mann beginnt auf Russisch zu erzählen. An einem Ort, der sonst Raum für Konzerte, Veranstaltungen und Prüfungen ist, beginnt er die Geschichte von seiner Kindheit zu erzählen, in der er vielleicht auch gerne ein, wie wir es nennen, „normales“ Schulleben, eine „normale“ Kindheit gehabt hätte. Doch dies wurde ihm verwehrt. Verwehrt vom Krieg. Dem Zweiten Weltkrieg.

Am Dienstag den 10.05.2016 sind die RussInnen, ehemalige BürgerInnen der Sowjetunion, Snegirjeva Nadeshda Danilowna, Jakowlewna Lidija Iwanowna, Elochina Lidija Nikolajewna und Slajek Nikolai Borisowitsch angereist um davon zu erzählen, wie der Zweite Weltkrieg ihnen ihre Kindheit stahl: 1941 griffen die Deutschen die Sowjetunion an und drangen schnell tief ins Landesinnere vor. Auf ihrem Weg plünderten sie Dörfer, verbrannten Häuser und Felder und inhaftierten hunderttausende Menschen unter unmenschlichen Bedingungen in Konzentrationslagern. Was das für Menschen waren und was das für sie bedeutete interessierte sie nicht. Frauen, Männer, sogar Schwangere, deren Männer an der Front kämpften, wenn sie nicht schon gefallen waren. Unter den Häftlingen befanden sich auch viele Kinder, die besonders unter den Zuständen zu leiden hatten. Nach Ende des Krieges und der Befreiung der Lager durch die Rote Armee kamen sie, die teils aus ihrer Heimat deportiert und zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, zurück in die Sowjetunion, wo ihnen aber wenig Brüderlichkeit entgegen gebracht wurde. Als „Verräter“ wurden sie bezeichnet, und mussten wieder in Lagern mehrere Wochen auf ihre Re-Patriierung warten. Lange wurde nicht darüber geredet; nicht in Russland, und in Deutschland erfahren es die Schüler auch nur im Geschichtsunterricht.

Darum sind diese Zeitzeugen angereist: Um den Schülern einen Eindruck von den Schrecken des Nationalsozialismus, des Krieges und auch der Nachkriegszeit zu vermitteln. Und schnell merkten die Schüler der Zehnten Klassenstufe: Fakten im Unterricht zu hören, ist etwas ganz anderes, als den Opfern, denen die dies tatsächlich erleben mussten, zuzuhören und ihnen in die Augen zu sehen. Besonders als eine Frau, die nur überlebte, weil ein deutscher Soldat Mitleid mit ihrer Mutter hatte, in Tränen ausbrach, stand vielen die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben.

Deswegen ist diesen Menschen der allergrößte Respekt auszusprechen, dass sie den Mut haben, schon seit mehreren Jahren jährlich vor rund 80 Schülern ihre Geschichte zu erzählen, auf das die Geschichte sich nicht wiederholt.